Unsere Stoff-APE

Die Odyssee

Eigentlich weiß man es ja: Wenn man in  Deutschland eine gute Idee hat, muss man erst mal Genehmigungen einholen. Das geht manchmal schnell und unkompliziert und kostet Geld; manchmal dauert es auch etwas und kostet auch Geld. So war es mit dem Reisegewerbeschein für die Stoff-APE.

 

Das begann so:

 

30. März

Da der Stoffladen in Gießen ist und ich dort auch mein Gewerbe angemeldet habe, ging ich zum Ordnungsamt in Gießen. Dort erfuhr ich, dass ich ein Reisegewerbe in der Stadt meines Wohnortes anmelden muss. Verstanden habe ich das nicht – aber gut. Dann muss ich halt noch ein bisschen warten.

 

03. April

Dieses Mal wollte ich besser vorbereitet sein und fraget mich, ob ich überhaupt einen Reisegewerbeschein brauche, wenn ich mit der APE auf den umliegenden Dörfern Stoff verkaufen will. Ich wusste nämlich, dass die Brötchen-, Eis- oder Fisch-Autos keinen Reisegewerbeschein benötigen. Und ich wollte mir nicht nur das Geld (300,- € !!!) sondern auch den Aufwand gerne sparen. Also fragte ich bei der Stadt Lollar nach und erhielt die Auskunft, dass es sich bei besagten Reisegewerbe um den Verkauf von „Waren des täglichen Bedarfs“ handele und deshalb ein Reisegewerbeschein nicht nötig sei. Unter „Waren des täglichen Bedarfs“ würden aber nur Lebensmittel fallen.

 

Das wollte ich doch noch mal genauer wissen, denn für mich gehört Stoff ja schließlich zum täglichen Bedarf! Also: Nix wie ins Internet.

 

13:31 Uhr

Das war gar nicht so einfach, da etwas zu finden. Zunächst die Gewerbeordnung. Da heißt es im §55a u. a.:

 

3. Tätigkeiten der in § 55 Abs. 1 Nr. 1 genannten Art in der Gemeinde seines Wohnsitzes oder seiner gewerblichen Niederlassung ausübt, sofern die Gemeinde nicht mehr als 10 000 Einwohner zählt.

 

Hab ich gleich nachgeschaut: Auf der Webseite von Lollar stand, dass Lollar auf „rund 10.000 Einwohner angewachsen“ sei. (Damals stand noch die genaue Zahl von 9.876 Einwohnern!) Das freute mein „Sparer“-Herz! Damit würde ich also nicht unter die fallen, die einen Reisegewerbeschein bräuchten.

 

15:04 Uhr

Das reichte mir aber noch nicht. Ich wollte gerne wissen, was genau man unter „Waren des täglichen Bedarfs“ versteht, denn man brauche auch dann keinen Reisegewerbeschein  – so heißt es weiter in der Gewerbeordnung –, wenn man

 

9. von einer nicht ortsfesten Verkaufsstelle oder einer anderen Einrichtung in regelmäßigen, kürzeren Zeitabständen an derselben Stelle Lebensmittel oder andere Waren des täglichen Bedarfs vertreibt.

 

Und in § 67 „Wochenmarkt“ der Gewerbeordnung heißt es dazu:

 

(2) Die Landesregierungen können zur Anpassung des Wochenmarkts an die wirtschaftliche Entwicklung und die örtlichen Bedürfnisse der Verbraucher durch Rechtsverordnung bestimmen, daß über Absatz 1 hinaus bestimmte Waren des täglichen Bedarfs auf allen oder bestimmten Wochenmärkten feilgeboten werden dürfen.

 

So, dachte ich mir, ich mache das ja eigentlich, weil Kundinnen aus den umliegenden Dörfern mir erzählt haben, dass es für sie so beschwerlich ist, nach Gießen zu kommen, um dort Stoff zu kaufen, also WEIL die örtlichen Bedürfnisse nicht ausreichend sind.

 

15:53 Uhr

Und dann kam SIE, die „Verordnung über die Zuständigkeit zur Erweiterung des Wochenmarktsortiments“, kurz gesagt: die WoMarktZustVO Hessen.

 

Dort heißt es:

 

Zu Waren des täglichen Gebrauchs gehören  Lebensmittel und Haushaltwaren. Also Dinge, die man täglich braucht, benutzt und verspeist.

 

Zu den Gegenständen des Wochenmarktverkehrs gehören über die Regelung des § 67 Absatz 1 der Gewerbeordnung hinaus -ausgenommen gebrauchte Waren -:

 

Und dann wird alles Mögliche aufgeführt, wie Bürsten, Grabgestecke, Kleinspielwaren und und und …

 

UND

 

Kurzwaren (z.B. Wollgarn, Zwirn, Bänder, Knöpfe, Sicherheitsnadeln, Stecknadeln, Haarnadeln, Schuhbänder, Schuhputzzeug, Einlegesohlen, Rasierklingen, Reißbrettstifte)

 

[…]

 

Kleintextilien (z. B. Blusen, Krawatten, Pullover, Unterwäsche, Mieder, Schals, Damen- und Herrenstrümpfe, Tischdecken, Hüte, Mützen, Plastiktisch- und Zierdecken, Wachstuchdecken)

 

[…]

 

Da war es also, meine offizielle Ausnahme, dass ich KEINEN Reisegewerbeschein benötige.

 

13. April

Also tapste ich nach Lollar, bepackt mit Ausdrucken der Gewerbeordnung und der WoMarktZustVO, an der ich die wichtigen Punkte leuchtend gelb markiert hatte. Die Dame in Lollar war überrascht, wusste aber leider zu belegen, dass sie ganz aktuelle Einwohnerzahlen von Lollar habe (10.217!!!), sie sich aber im Hinblick auf die WoMarktZustVO nochmal schlau machen wolle. Also warten!

 

Es kam, wie es kommen musste: Die nette Dame von Lollar teilte mir mit, dass Stoff nicht in der WoMarktZustVO aufgeführt sei und ich also doch ein Reisegewerbe anmelden müsse!

 

18. April:

Ich konnte das einfach nicht glauben. Also ging ich bis zum RP. Aber auch dort erhielt ich (von einem wirklich sehr netten Herrn) nichts Erfreulicheres:

 

Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn Sie im Rahmen Ihres Stoffladens Kund(inn)en gezielt anfahren, die bei Ihnen Stoff bestellt haben, aber nicht selber in den Laden kommen können. Sobald Sie aber regelmäßig bestimmte Punkte anfahren, zu den etwaige Kund(inn)en „ohne vorhergehende Bestellung“ (so die gesetzliche Definition des Reisegewerbes) kommen, üben Sie Reisegewerbe aus.

 

So! Da war es also wieder, dieses Gefühl von einer gewissen Ungerechtigkeit und Ohnmacht. Dem habe ich mich dann noch ein paar Tage ausgeliefert. Und dann habe ich beschlossen, mir einen Reisegewerbeschein zum Geburtstag zu schenken.

 

Gratulation!

 

Ihr denkt, es sei hier zu Ende? Mitnichten!!

 

26. April

Ich wollte in Lollar meinen Reisegewerbeschein beantragen. Dafür musste aber zunächst noch einiges her:

 

- ein Führungszeugnis, beantragt die Stadt für mich (25,- €)

 

- eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Finanzamt

 

- eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Amtsgericht in Gießen

 

Es gingen weitere Tage ins Land.

 

Das mit dem Finanzamt war ausnahmsweise mal unkompliziert: Anrufen, Mail schicken und 2 Tage später hatte ich den erforderlichen Wisch.

 

 

 

Das mit dem Amtsgericht war etwas schwieriger, denn ich musste persönlich vorbeikommen. Hab ich gemacht!

 

08. Mai

Juchhu, ich hab‘s geschafft, zu den angegebenen Öffnungszeiten im Amtsgericht vorzusprechen. Jetzt bekomme ich – nach Tasche ausräumen und Durchleuchten am Eingang – auch meine schriftliche Bestätigung, dass ich nicht straffällig bin – glaube ich zumindest. Dabei erklärt mir die wirklich sehr freundliche Dame, dass das Schuldnerverzeichnis nur bis zum 31.12.2012 beim jeweiligen Amtsgericht geführt wurde und seitdem das zentrale Schuldnerverzeichnis ausschließlich vom zentralen Vollstreckungsgericht, also länderübergreifend  verwaltet wird. Ich erhalte also ein Schriftstück (kostenlos, aber mit Stempel!!), auf dem steht:

 

Um einen vollständigen Überblick über den Stand der Eintragungen zu erlangen, empfiehlt sich die Einsichtnahme in beide Schuldnerverzeichnisse […]

 

und  dann ist eine Internetadresse zum zentralen Schuldnerverzeichnis angegeben.

 

09. Mai

Da ich ja beschlossen habe, alles richtig zu machen, registriere ich mich im Vollstreckungsportal und erfahre, dass ich in ein paar Tagen per Post eine PIN zugeschickt bekomme, mittels der ich mich dann anmelden und meinen Auszug aus dem Schuldnerverzeichnis einsehen könnte (Kosten: 4,50 € pro Abfrage). Der Gang nach Lollar, um den Reisegewerbeschien abzuholen, verzögert sich also noch ein bisschen.

 

Jetzt ist irgendwie auch schon alles egal…

 

Parallel zu dieser ganzen Sache beginne ich, mir Gedanken darüber zu machen, wo ich mich mit der Stoff-APE hinstelle. In Lollar und Staufenberg ist schon klar, dass es auf den Parkplätzen von Lebensmittel-Märkten sein wird. Was aber, wenn ich in Ortschaften stehen möchte, in denen es keine solchen Geschäfte gibt.

 

Also frage ich in Lollar an, wie ich in solchen Fällen vorgehen soll und erhalte die Antwort:

 

Um Städtische Plätze/Flächen zu nutzen, benötigen Sie eine Sondernutzungserlaubnis der entsprechenden Stadt, d. h. für Ruttershausen von der Stadt Lollar. Diese Erlaubnis wäre dann auch wieder mit einer Gebühr verbunden. Wenn Sie mir mitteilen wie oft sie dort stehen würden, könnte ich die zuständige Kollegin bitten, die Gebühr auszurechnen.

 

Ich schreibe zurück: 1 x pro Monat ca. 1 Stunde. Die Kollegin ist leider gerade in Urlaub…

 

Ich habe bis heute keine Antwort.

 

Meinen Reisegewerbeschein habe ich aber inzwischen und wie ihr seht läuft sonst auch alles gut.